16. KAPITEL
»Und? Haben Sie die vermissten Soldaten gerettet?« erkundigte sich Ami.
Carl lachte verbittert. »Der Auftrag war eine Falle, und ich war so naiv, dass ich es nicht durchschaut habe.«
»Was ist passiert?«
»Wir waren zehn. Ich hatte ihre Fotos gesehen, als ich die Unterlagen durchgeblättert habe, die ich aus dem Safe des Kongressabgeordneten Glass gestohlen habe. Also wusste ich, dass alle dabei waren. Ich kannte nur einen, Paul Molineaux. Er hatte meinen ersten Kampfeinsatz geleitet und war auch diesmal der Teamführer. Er zeigte uns Bilder von dem Lager und instruierte uns. Wir sollten mit dem Boot ins Landesinnere fahren, aber Molineaux sagte, dass Hubschrauber auf uns warteten, die uns in die Nähe des Zielorts fliegen würden. Er hatte Fotos der vermissten Soldaten dabei. Es wirkte alles sehr echt, und wir glaubten ihm.«
»Aber es stimmte nicht? Es gab keine Vermissten?«
Carl zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gab es welche, wenngleich ich es bezweifle. Ich glaube, der General hat ein paar Fotos aus dem Hut gezaubert, um uns zu stimulieren. Jeder einzelne Mann der Einheit hätte bereitwillig sein Leben aufs Spiel gesetzt, um einen vermissten Kameraden nach Hause zu holen. Wir bekamen allerdings gar nicht die Chance, herauszufinden, ob es irgendwelche im Kampf vermissten Kameraden gab.
Molineaux blieb an Bord des Bootes, das uns ins Landesinnere brachte. Allein das war schon merkwürdig. Dann übertrug er mir das Kommando. Er meinte, wegen des Gefangenenlagers wimmelte es in der Gegend von feindlichen Soldaten, und er wollte das Boot sichern, das unsere alternative Fluchtroute wäre. Wir haben ihm blind geglaubt. Wir waren wirklich blöd.«
»Was geschah dann?«
»Die Vietnamesen haben uns erwartet und uns aufgelauert. Wir waren unterwegs zu einem Ort am Ende eines Tales. Sie erwischten uns am Fuß der Hügel. Eine Zweiundachtzig-Millimeter-Granate explodierte fünf Meter vor mir, und dann brach die Hölle los. Überall knallten Schüsse. Ich versuchte, von der Lichtung, wo sie uns in die Falle gelockt hatten, in den Wald zu entkommen und meine Verletzung zu versorgen.«
»Sie wurden verwundet?«
»Am Bauch, aber es war nicht schlimm. Es brannte nur, als würde man einen heißen Schürhaken darauf drücken. Außerdem war mein Bein taub, und mir war schlecht. Nach einer Weile nahm der Schmerz ab und wurde ein ständiges, scharfes Brennen. Damit kam ich klar. Außerdem bin ich gelaufen, als es passierte, weil ich wegen des vielen Gewehrfeuers Angst hatte. Ich entkam durch eine ausgewaschene Rinne in den Dschungel und hörte, wie meine Männer kämpften und starben. Dann befahl ein Vietnamese einigen seiner Leute, mich zu jagen, und kommandierte die anderen ab, die Leichen zu untersuchen und sich zu überzeugen, dass alle wirklich tot waren. Es gelang mir, meinen Verfolgern zu entkommen. Als ich den Fluss erreichte, war das Boot weg. Wäre es noch da gewesen, wäre ich in Sicherheit gewesen, aber ich hatte zu lange gebraucht, um mich zum Fluss durchzuschlagen. Deshalb holten die Vietnamesen mich ein. Da war ich durch meine Verletzung schon so geschwächt, dass ich nicht mehr kämpfen konnte.«
»Was ist passiert, nachdem man Sie erwischt hat?«
»Sie haben die Wunde gereinigt und die meisten Granatsplitter entfernt. Und mir fast alle Kleidung abgenommen. Ich musste barfuß gehen, und sie marschierten im Kreis, um den Weg länger zu machen.« »Wie lange sind Sie marschiert?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es sehr lange dauerte, bis wir zu dem Lager kamen.«
»Was haben Sie dort mit Ihnen gemacht?«
»Es war jedenfalls nicht der Club Mediterrane.« Er lachte heiser. »Die Vietnamesen folterten mit Vorliebe meine Füße. Einmal haben sie mir die Arme mit nassen Lederriemen hinter dem Rücken gefesselt. Die Riemen zogen meine Schultern weiter zurück, als sie trockneten. Irgendwann haben die Vietnamesen mich auch einmal in eine Stahlkiste gesperrt und in der glühenden Sonne stehen lassen.«
»Was wollten sie von Ihnen?«
»Das war ja das Merkwürdige. Sie haben keine Fragen gestellt. Sie haben mich einfach nur gefoltert. Als brauchten sie keine Informationen von mir, weil sie schon alles wussten, was ich ihnen hätte verraten können.«
»Wie sind Sie entkommen?«
»Das Lager war eigentlich nur ein Dorf. Es gab dort keine Zellen. Ich war in einer Hütte eingesperrt, vor deren Tür Wachen standen. Nachts wurden ich mit Ketten an Händen und Füßen um einen Pfosten gefesselt. Es ist mir gelungen, durch den harten Lehmboden bis unter den Sockel des Pfostens zu graben. Ich habe den ganzen Lehm, den ich nachts ausgegraben habe, wieder zurückgelegt, wenn es hell wurde. Schließlich konnte ich die Kette unter dem Pfosten herausziehen. Als der Wachtposten auf seiner Runde nach mir sah, habe ich die Kette wie eine Garrotte benutzt und ihm die Gurgel zerquetscht. Er hatte ein Messer im Stiefel. Damit habe ich den Wachposten vor der Hütte erstochen. Bei ihm habe ich den Schlüssel für meine Ketten gefunden. Ich bin aus dem Lager geflohen und losgerannt. Ich wusste ungefähr, wo ich mich befand, und war darin ausgebildet, im Dschungel zu überleben.«
»Wie sind Sie wieder in die Vereinigten Staaten gekommen?« »Ich bin nach Thailand geflohen. An der Grenze habe ich Geld gestohlen, mir einen falschen Ausweis gekauft und habe auf einem Schiff als Matrose angeheuert. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis ich schließlich in San Francisco an Land gehen konnte. Ich vermutete, dass ich geächtet war, also wollte ich Peter Rivera aufsuchen. Nur war der ermordet worden, und zwar auf genau die gleiche Weise, wie ich Eric Glass umgebracht hatte. Die Beweise deuteten auf mich als Mörder hin. Erst da habe ich kapiert, was hier eigentlich vorging. Wingate hatte die Einheit aufgelöst und das Geld aus dem Geheimfond gestohlen. Er hat mir den Mord an Rivera und den Diebstahl des Geldes in die Schuhe geschoben. Natürlich haben ihm alle diese Geschichte abgekauft, weil Vanessa gesehen hatte, dass ich den Kongressabgeordneten ermordete.
Einige Monate nach dem Mord an Rivera nahm der General seinen Abschied, zog sich nach Kalifornien zurück und lebte dort fünf Jahre lang ruhig und unauffällig. Dann investierte er eine sehr große Summe in Computex, Simeon Browns Software-Firma. Ich glaube, er hat das Geld aus dem Geheimfond dafür benutzt. Mit seinen ausgezeichneten Kontakten zum Militär sicherte Wingate Computex lukrative Verträge. Er lebte vom Geld seiner toten Frau, bis Computex richtig erfolgreich wurde. Als die Firma schließlich ein echter Renner an der Börse wurde, ist Simeon Brown tödlich verunglückt. Eine glückliche Fügung für den General, stimmt's?«
»Haben Sie jemals versucht, sich zu rächen?«
Carl schüttelte den Kopf. »Ich war müde, Ami, und ich hatte es satt. Diese Monate im Dschungel haben mich verändert. Ich wollte keine Rache, sondern meine Ruhe. Ich tauchte ab und war damit zufrieden, unterhalb des Radars der Gesellschaft zu leben. Immerhin«, er lächelte, »habe ich schon seit Jahren keine Steuern mehr bezahlt, und mich rufen auch nicht ständig irgendwelche Rechtsanwälte an. Was will man mehr?«